Velvet Revolution 2018


Die Welt hat nur selten friedliche Revolutionen gesehen, doch was im März und April 2018 mit kleineren Protesten gegen die Umstellung des Regierungssystems begann  und nur Wochen später in einen Regimesturz mündete, war eine: Hunderttausende auf den Straßen der Hauptstadt Jerewan und an unzähligen weiteren Orten im ganzen Land protestierten – wie schon zehn Jahre zuvor – gegen eine korruptes Regierung, die sich mit gekauften Stimmen und manipulierten Wahlen an der Macht gehalten hatte, unterstützt von reichen Oligarchen und ihren Verstrickungen in der Politik. Der Hashtag #rejectserzh war nur einer der Slogans, unter dem die DemonstrantInnen den Rücktritt des Premierministers Serzh Sargsyan (Republikanische Partei) forderten. Was niemand für möglich gehalten hatte, passierte an einem Tag im April: Der Machthaber trat zurück. Nach weiteren Demonstrationen, einem Generalstreik und zwei vom ganzen Land mitverfolgten, nervenaufreibenden Parlamentssitzungen wurde der Oppositionsführer Nikol Pashinyan am 8. Mai 2018 zum (Übergangs)Ministerpräsidenten gewählt. Bei den ersten freien und fairen Parlamentswahlen im Dezember 2018 wurde Pashinyan im Amt bestätigt, während die abgesetzte Republikanische Partei nicht mehr in der Armenischen Nationalversammlung vertreten sein wird.

Was bedeutet die Revolution für den Tourismus?

Armenien war vor, während und nach dem Regimesturz eines der sichersten Reiseländer der Welt. Auch die Demonstrationen und abendlichen Versammlungen auf dem Republik-Platz im April und Mai waren kein Hemmnis für den Tourismus, im Gegenteil: Viele ausländische Besucher*innen genossen die positive Atmosphäre, von der die Hauptstadt Jerewan in jenen Tagen erfasst worden war. Armenien ist auf dem Weg eine wirkliche Demokratie zu werden, und das dürfte ein weiterer Anreiz sein, dieses Land zu besuchen.

Was bedeutet die Revolution für die Armenier*Innen?

Armenien hat nun seit Langem wieder eine Chance, aus jahrelanger politischer und gesellschaftlicher Stagnation zu erwachen. Viele erhoffen sich unter der neuen, demokratisch gewählten Regierung einen Aufschwung der Wirtschaft. Bei vielen ist die anfängliche Euphorie des Frühjahrs 2018 jedoch wieder etwas abgeflacht: Die Menschen erwarten, dass Ministerpräsident Pashinyan seinen Versprechen nachkommt und werden ihm auch nur so lange ihr Vertrauen schenken, wie er seinen Prinzipien treu bleibt. Es kann Jahre dauern, bis Veränderungen bzw. Verbesserungen, z.B. in der Wirtschaft, sichtbar werden und noch kann niemand sagen, wie der weitere Prozess aussehen wird. Mit Sicherheit kann jedoch gesagt werden, dass die Armenier*innen schon viel erreicht haben: Sie haben eine verrostete und korrupte Elite aus ihrer scheinbar unantastbaren Machtposition verdrängt. Direkt nach dem Regimesturz wurden überall im Land Bürgermeister durch junge Menschen ersetzt. Momentan (Anfang 2019) wird ein Prozess gegen den ehemaligen Präsidenten Robert Kocharyan (Regierungszeit 1998-2008) angestrengt, um den Tod von acht Demonstranten am 1. März 2008 aufzuklären. Die gescheiterten Proteste vor mehr als zehn Jahren, als zuletzt gegen manipulierte Wahlen demonstriert wurde, sind mit der Revolution ein Jahrzehnt später vollendet worden. Im Hinblick auf die Unterschiede zwischen diesen schwarzen Tagen 2008 und den neuerlichen Protesten 2018 sagten mir viele junge Menschen auf der Straße: "Wir haben keine Angst mehr." Und das ist wohl eine der wichtigsten Veränderungen, die sich im Frühling vollzogen haben.

Wo können wir mehr erfahren?

Das englischsprachige News-Portal EVN Report ist eine gute Quelle, mit tiefgründigen Analysen und Kommentaren zur aktuellen politischen Lage sowie zu den aufregenden Wochen und Monaten des Jahres 2018. Wir von Bildungs- und Erlebnisreisen Muth bieten für März / April 2020 bereits zum zweiten Mal eine neuntägige Tour durch Armenien an, wo wir u.a. auf den Spuren der Revolution wandeln und neben Sehenswürdigkeiten, wundervoller Natur und gutem Essen auch junge Menschen kennenlernen und mit ihnen ins Gespräch kommen werden. (Anmeldung bereits möglich.)



Fotos: Thorsten Muth (Frühjahr 2018)