Touristisch wird das Land im Südkaukasus als die "erste christliche Nation der Welt" beworben, weshalb der Umstand den meisten Armenien-Interessierten bekannt
sein dürfte. Doch was macht das armenische Christentum aus?
Auf den entlegensten Hügeln und am Ende jedes noch so engen Flusstales wird man in Armenien auf ein mittelalterliches Kloster stoßen. Alte Kirchen und Kreuzsteine
vor malerischer Kulisse prägen die Landschaft schon seit Anbeginn der christlichen Geschichte. Die ersten Missionare, die gegen Ende des 2. Jahrhunderts in die Region kamen, stammten aus dem
Süden: Die beiden Apostel Judas Thaddäus und Bartholomäus sollen in den Jahrzehnten nach der Kreuzigung Jesu die ersten Gemeinden in Armenien gegründet haben. Das frühe
Christentum unterlag einem starken syrisch-aramäischen Einfluss, da Judas Thaddäus zunächst vom Apostel Thomas ins syrische Edessa (heute Şanlıurfa/Türkei) entsandt worden war und von dort zu den Armeniern weiterreiste.
Zusammen mit Bartholomäus, der eben so wie er selbst den Märtyrertod erlitt, gilt er als einer der Schutzpatrone der Armenisch-Apostolischen Kirche.
Die Geschichte des armenischen Christentums ist eng verwoben mit der des Heiligen Gregor und der Heiligen Hripsime. Diese lebten zu einer Zeit, als die grausamen Christenverfolgungen gegen die jungen christlichen Gemeinden des Römischen Reiches unter Kaiser Diokletian zu Beginn des 4. Jahrhunderts ihren Höhepunkt fanden. Zu Rom gehörte damals auch Armenien, das von Tiridates III. (Trdat) beherrscht wurde. In diesen Tagen kam der Wunderheiler und Missionar Gregor nach Armenien, der nach armenischer Legende aus dem Hause des Parthers Anak entstammte und anderen Quellen zufolge aus dem kappadokischen Cäsarea (heute Kayseri/Türkei) kam. Er weigerte sich, der zoroastrischen Göttin Anahita zu opfern und wurde daraufhin auf Befehl des Königs in eine Grube (ein "tiefes Verlies", s. Khor Virap) geworfen.
Jahre später verschlug es die junge und schöne Hripsime ebenfalls nach Armenien, wo sich ihre Geschichte mit der von Gregor auf tragische Weise verbinden sollte: Ursprünglich aus dem römischen Kaiserhaus stammend, war die Christin Hripsime den Avancen des Kaisers Diokletian mit 70 Jungfrauen nach Jerusalem entflohen. Dort soll ihr die Muttergottes erschienen sein und sie angewiesen haben, nach Edessa weiterzuziehen. Mit nur noch 37 Jungfrauen reiste Hripsime von dort wiederum weiter nach Armenien, wo ärgerlicherweise auch König Tiridates auf sie aufmerksam wurde. Kaiser Diokletian hatte ihn höchstpersönlich in einem Schreiben auf die junge Frau aufmerksam gemacht. Hripsime weigerte sich jedoch auch, den armenischen König zu heiraten, und bevorzugte den grausigen Märtyrertod. Ihr Handeln und ihre Standfestigkeit hinterließen großen Eindruck bei der Bevölkerung, was zur Bekehrung vieler Armenier führte. Nach ihrer Enthauptung verfiel der König in eine tiefe Depression und wurde von allerlei Leiden befallen. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Wunderheiler Gregor bereits dreizehn Jahre im Kerker ausgeharrt, doch endlich wusste sich Tiridates nicht mehr anders zu helfen und ließ den Missionar aus der Grube holen. Gregor heilte den König und dieser ließ sich daraufhin in den Wassern des Euphrat taufen. Das armenische Königreich wurde christlich. Gregor der Erleuchter wurde erster Katholikos der armenischen Kirche und gilt heute als Schutzpatron der Armenier, auch Hripsime wird als wichtige Heilige verehrt. In der religiösen Tradition der Armenier nehmen beide eine gleich hohe Stellung ein. In Etschmiadsin, wo sich die ältesten Kirchen Armeniens und die Gräber der beiden Heiligen befinden, ist bis heute der Sitz der Armenisch-Apostolischen Kirche angesiedelt.
Zwischen dem 14. und dem 20. Jahrhundert, als die Armenier keinen eigenen Staat hatten, fungierte die Armenisch-Apostolische Kirche als Träger der nationalen und kulturellen Identität. Heute sind zwischen 95 und 98 % der Armenier Mitglieder dieser Kirche. Die Orte des Christentums sind ein wichtiger (wenn nicht sogar der wichtigste) Teil der armenischen Kultur und seine heiligen Orte sind Hauptanziehungspunkte für Touristen.