Die heutige Republik Armenien umfasst nur einen kleinen Teil des historischen Armenischen Hochlandes. Als eine der ältesten Kulturen des südlichen Kaukasus
haben die Armenier die Region über ihre Grenzen hinaus geprägt.
Die Antike. Die Geschichte der Armenier beginnt der Legende nach mit dem Riesen Hayk, der sein Volk aufs Armenische Hochland geführt haben soll. Die Geschichtswissenschaft hingegen setzt beim Königreich Urartu an, nach dessen Untergang im 7. Jh. v. Chr. die Orontiden (oder Yervanduni) als erste armenische Herrscherdynastie aus den Ruinen von Erebuni hervorgingen. Damals gehörte das Gebiet des heutigen Armenien zum Perserreichs, weshalb auch die ersten bildlichen Darstellungen von Armeniern aus dem Relief der Apadana-Säulenhalle in Persepolis stammen. Die Städte Armeniens konnten sich aufgrund ihrer Lage an den Handelsrouten der Großen Seidenstraße prächtig entwickeln. Im 4. Jahrhundert v. Chr. kam die Region unter den Einfluss Alexanders des Großen. Die Politik richtete sich zunehmend nach Westen aus und der Hellenismus erfuhr seinen ersten Höhenflug. Auch nach Alexanders Tod und der Aufteilung des Großreiches in einzelne Diadochenstaaten blieb die griechische Prägung erhalten: In Gestalt der Artaxiden etablierte sich eine neue armenische Dynastie, deren Münzen etwa artaxidischen Herrscher Tigranes als Philhellenes („Freund der Griechen“) beschreiben. Tigranes der Große regierte von 95 bis 55 v. Chr. über ein riesiges Reich, das teilweise bis ins heutige Akko (Israel) reichte. In seinen Kriegen mit Rom verlor er jedoch alle seine Provinzen – bis auf Armenien, wo er weiter König bleiben durfte.
Entstehung des ersten christlichen Staates der Welt. Armenien verlor seinen Einfluss und wurde zum Zankapfel zwischen Rom und den Parthern. Letzteren gelang es, Vertretern ihres eigenen Herrscherhauses auf den Thron in Armenien zu verhelfen: Armenien blieb bis in die Spätantike zwischen Ost und West umkämpft, doch die Arsakiden (oder Arschakuni) behielten ihren Einfluss. Ende des 3. Jh. (n. Chr.) bestieg schließlich König Tiridates III. den Thron. Hundert Jahre nachdem die ersten christlichen Missionare ins Land gekommen waren und die Armenisch-Apostolische Kirche begründet hatten, trat Tiridates zum Christentum über und machte Armenien somit zum ersten christlichen Königreich der Welt. Eine neue Epoche in der Geschichte des Landes und auch in der Kultur der Armenier war angebrochen.
Mittelalter und Neuzeit. Bis zum Ende des 7. Jahrhunderts etablierte sich eine neue Macht im Nahen Osten: Arabische Stämme brachten mit dem Islam eine neue Religion in die Region. Doch schon im 9. Jahrhundert schwächelte das Kalifat und eine neue Phase der armenischen Unabhängigkeit begann: Die Bagratiden (oder Bagratuni) konnten Wohlstand, Kunst und Literatur in Armenien zu neuem Aufschwung verhelfen. Ihre Hauptstadt Ani, die „Stadt von tausend und einer Kirche“, war größer als jede europäische Stadt zu dieser Zeit. Das Bagratiden-Reich ging Mitte des 11. Jahrhunderts unter und Byzanz besetzte einen Großteil Armeniens. Aber auch verschiedenste andere Mächte hielten kurzzeitig Einzug: Seldschuken, mongolische Ilchane und Timuriden. In einem Machtkampf zwischen Osmanen und safawidischen Persern wurden neue, dauerhafte Grenzen geschaffen: Der westliche Teil des historischen Armeniens kam zum Osmanischen Reich, während der östliche Teil – einschließlich des Gebiets der heutigen Republik Armenien – unter persischer Herrschaft verblieb. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts konnte dann auch das zaristische Russland im Südkaukasus Fuß fassen.
Das 20. Jahrhundert. Die Geschichte der Armenier in Anatolien endete während des Ersten Weltkriegs auf tragische Weise: Eineinhalb Millionen Armenier kamen durch unzählige Massakern ums Leben, zehntausende Überlebende flohen in die Diaspora. Der Völkermord der Osmanen an den Armeniern ist das dramatischste Kapitel in der armenischen Geschichte und ein in der Türkei bis heute unzureichend aufgearbeitetes Thema. Nach dem Ersten Weltkrieg errang der Ostteil Armeniens nach einem Sieg gegen die osmanischen Armeen im Jahre 1918 kurzzeitig die Unabhängigkeit. Die erste Republik wurde ausgerufen. Zwei Jahre später musste der junge Staat jedoch dem Druck von Türken und Russen nachgeben: Als Sowjetrepublik wurde Armenien Teil der Sowjetunion. Erst 1991 erlangte das Land die endgültige Unabhängigkeit, doch wirtschaftliche Not und ein langer Krieg um Bergkarabach sorgten für einen komplizierten Start. Bis heute ist die Außenpolitik Armeniens geprägt durch den blutigen Konflikt mit Aserbaidschan im Osten und den türkischen Nachbarn im Westen.
Das 21. Jahrhundert. Seit 1999 hatte die Republikanische Partei durchgehend den Premierminister gestellt. Nachdem Demonstrationen gegen mutmaßlich
manipulierte Wahlen im Jahr 2008 zehn Tote gefordert hatten, traten zehn Jahre des politischen Stillstands ein. Breiter Protest erhob sich erst wieder im Frühjahr 2018, als Reaktion auf eine
Verfassungsänderung, und führte nach wochenlangen friedlichen Aktionen zum Ende der Ära unter der Republikanischen Partei.
Oppositionsführer Nikol Pashinyan gewann die darauffolgenden Parlamentswahlen mit einem Erdrutschsieg. Der Regime-Sturz war für die meisten ein Zeichen der Hoffnung, doch er hatte auch eine
außenpolitische Schwäche (u.a. durch ein gewisses Misstrauen Russlands gegenüber der friedlichen Revolution) zur Folge. Auf dem Höhepunkt der COVID-19-Pandemie nutzte die diktatorische Führung
Aserbaidschans ihre Chance und begann 2020 eine Offensive auf Bergkarabach, um den jahrzehntelang schwelenden Konflikt unter Aufgabe diplomatischer
Mittel auf dem Schlachtfeld zu lösen. Mehrere tausend Menschen auf beiden Seiten verloren ihr Leben. Nach einer armenischen Niederlage mussten zehntausende
Armenier aus abgetretenen Gebieten in Bergkarabach fliehen. In Armenien selbst löste die militärische Niederlage eine innenpolitische Krise aus, die bis heute nicht ganz beigelegt ist. Für Ende
2022 strebten Armenien und Aserbaidschan einen Friedensvertrag an, dessen genaue Form jedoch noch nicht bekannt ist. Der russische Angriff auf die Ukraine sorgte wiederum für weitere Spannungen,
da Armenien zehntausende Russen aufgenommen hat, die sich der Einberufung in die russische Armee entzogen.
Weltweit gibt es heute 12 Millionen Armenier, von denen aber nur knapp drei Millionen im Land selbst leben. Durch den Völkermord im Osmanischen Reich, aber auch durch die politischen Verhältnisse in der Sozialistischen Sowjetrepublik Armenien wurden viele Armenier, die in den historischen Landschaften des Gebiets zwischen Schwarzem und Kaspischem Meer heimisch waren, ins Exil getrieben. Heute gibt es eine blühende Diasporagemeinde, die über die ganze Welt zerstreut ist.