Der Bergkarabach-Konflikt


Ende September 2020 kam es im Südkaukasus zur blutigen Eskalation eines jahrzehntealten Konflikts: Aserbaidschan und Armenien streiten um die kleine, überwiegend von Armeniern bewohnte Region Bergkarabach.

 

Nachdem es bereits im Juli 2020 zu Kämpfen zwischen armenischen und aserbaidschanischen Truppen in den nördlichen Grenzregionen beider Länder gekommen war, begann Aserbaidschan am 27. September einen groß angelegten Angriff auf die international nicht anerkannte Republik Arzach (Bergkarabach). Diese hat etwa 150.000 Einwohner und gehört seit den 1920er Jahren völkerrechtlich zu Aserbaidschan, wird aber vorwiegend von Armeniern bewohnt. 1988 eskalierte ein lange schwelender Konflikt zwischen den Bevölkerungsgruppen, woraufhin Bergkarabach 1991 wenige Wochen vor Aserbaidschan die Unabhängigkeit von der UdSSR erklärte. In den frühen 1990er Jahren kam es zu beidseitigen Pogromen und massiven Kämpfen um die Vorherrschaft in der Region, in deren Verlauf armenische Truppen sowohl Bergkarabach als auch sieben umliegende aserbaidschanische Bezirke besetzten. Ein Waffenstillstand schuf 1994 einen Status Quo, d.h. Bergkarabach blieb de facto unabhängig – wenn auch von keinem einzigen Land der Welt (auch nicht von Armenien) anerkannt. Die Konfliktparteien einigten sich darauf, unter Vermittlung der sogenannten Minsker Gruppe der OSZE unter Vorsitz von Russland, den USA und Frankreich auf eine diplomatische Lösung hinzuarbeiten.

 

Mit dem Angriff im September 2020 erzwang Aserbaidschan eine militärische Lösung des Konflikts und erhielt dafür Rückendeckung von der Türkei. (Verschiedene Quellen sprechen von 850 bis 4.000 Söldnern, die von der Türkei in Syrien und Libyen angeworben worden sein sollen, um die aserbaidschanische Offensive zu unterstützen.) Armenien und die Republik Arzach riefen zur Generalmobilmachung auf. Innerhalb weniger Tage kamen offiziellen Angaben zufolge hunderte armenischer Soldaten ums Leben, unter ihnen besonders viele der Jahrgänge 2000 und 2001. Ilham Alijew, der langjährige Präsident Aserbaidschans, machte den Abzug aller armenischer Truppen aus Bergkarabach zur Bedingung für einen Waffenstillstand, während die armenische Seite prinzipiell zu einer gegenseitigen Waffenruhe bereit ist. Innerhalb weniger Tage war ein großer Teil der Bevölkerung von Stepanakert, der Hauptstadt Bergkarabachs, auf der Flucht. Insgesamt drei humanitäre Waffenruhen, die im Oktober unter Vermittlung verschiedener Staaten ausgehandelt wurden und zur Bergung der Gefallenen dienen sollten, wurden von aserbaidschanischer Seite gebrochen. Eine endgültige Waffenruhe wurde am 10. November unterschrieben, als Aserbaidschan ein wichtiges Kriegsziel (die Eroberung der Stadt Schuschi) erreicht hatte. Die Vereinbarung, die von den meisten Armeniern als Niederlage interpretiert wird, enthält den Abzug armenischer Truppen aus den besetzten aserbaidschanischen Bezirken rund um Bergkarabach sowie die Aufgabe des bereits von Aserbaidschan eroberten Gebiets. Der Rest Bergkarabachs (einschließlich der Hauptstadt Stepanakert) wird von russischen "Friedenstruppen" gesichert. Zwischen Aserbaidschan und der Exklave Nachitschewan wird ein Korridor durch die armenische Provinz Syunik eingerichtet, Armenien und Bergkarabach werden durch einen von russischen Truppen gesicherten Korridor durch Latschin verbunden. Das Abkommen hat Armenien in eine tiefe politische Krise gestürzt. Noch am Abend des 10. November kam es zu Protesten in der Hauptstadt Jerewan, die bis heute anhalten. Die Regierung des erst seit 2018 regierenden Ministerpräsidenten Pashinyan geriet enorm unter Druck.

 

In den Tagen vor der Übergabe der entsprechenden Bezirke an Aserbaidschan kam es vor allem in der Region Kalbajar zu dramatischen Szenen, als Armenier ihre Dörfer verließen und teilweise ihre eigenen Häuser anzündeten, um nichts zurückzulassen. Das Kloster Dadiwank, das sich laut dem Abkommen an Aserbaidschan übergehen sollte, wurde von russischen Truppen besetzt, um systematischen Zerstörungen durch aserbaidschanische Truppen zu verhindern. Andere Orte hatten ein tragischeres Schicksal. Trotz der Einigung auf ein Abkommen blieben viele inhaltliche Fragen offen. So war etwa das Schicksal der armenischen Kriegsgefangenen ungeklärt. Auch tauchen immer weitere Videos von misshandelten Soldaten und Zivilisten auf. Bei der "Siegesparade" in Baku wurde am 10. Dezember außerdem weiteres Säbelrasseln vonseiten des aserbaidschanischen Präsidenten und seinem türkischen Amtskollegen laut. Der Süden Armeniens sowie Jerewan und die Region um den Sewan-See wurden als aserbaidschanisches Land bezeichnet. Am 14. Dezember kam es zu kleineren Kampfhandlungen um zwei armenische Dörfer in der nun aserbaidschanischen Region Hadrut. Erneut wurden Zivilisten gefangen genommen.

(Hintergrundbild-Quelle: Hayastan All Armenian Fund / Vardan Petrosyan)

Informationen über den Konflikt (aktualisiert)

 

EVN Report: Spotlight Karabakh (englisch)

Aktuelle Berichte zur Situation in Bergkarabach; s. 'Updates from Artsakh'-Artikel oder FB-Seite.

 

Paul Ronzheimer (Twitter)
BILD-Journalist, berichtete live aus Stepanakert.

 

Stellungnahme des Europapolitikers Martin Sonneborn (Die PARTEI; 29.09.2020)

Sonneborn war der erste deutsche Politiker, der den Angriff Aserbaidschans offen verurteilte.

 

"Nicht einfach ein Kampf der Religionen" (Tagesschau, 04.10.2020)

Artikel über die oftmals ungewöhnlichen Allianzen im Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan, in dem etwa die Türkei und Israel zu Aserbaidschan halten und die AfD zu Armenien.

 

Interview mit Politikwissenschaftler Stefan Meister (Deutschlandfunk)

Über das Abkommen zwischen Armenien und Aserbaidschan.